Einflussreiche Bewegungen
„Ich arbeite daran, dass sich die Komplexität des modernen Lebens im Ballett abbildet.”
Der US-amerikanische Choreograph Richard Siegal ist einer der wichtigsten Akteure im zeitgenössischen Tanz, der mit seinen Stücken immer wieder neue Maßstäbe setzt. Nachdem er sich als Solist am Ballett Frankfurt internationale Anerkennung erworben hatte, gründete Siegal im Jahr 2006 die interdisziplinäre Plattform The Bakery, die unter seiner Leitung die unterschiedlichsten Künstler, Philosophen und Programmierer für neue Ausdrucksformen zusammenführt.
Einer der einflussreichsten Impulse ist die „If/Then“-Methode, die der Logik von Entscheidungsbäumen aus der Informatik folgt und im Tanz ein wachsendes Bewegungssystem aus Aktionen und Reaktionen ermöglicht. In all seinen Projekten gelingt es Siegal, den klassischen Tanz für neue ästhetische Formen zu öffnen. In Unitxt (2013) beispielsweise choreographierte er zu Techno-Beats Formationen in einer steril-industriellen Umgebung.
Siegals bahnbrechende Arbeiten wurden weltweit präsentiert u. a. im ZKM Karlsruhe, im Rahmen des Festivals d’Automne à Paris und der Ruhrtriennale, im IRCAM, Centre Pompidou, Ballett Frankfurt, in der Muffathalle in München und der Brooklyn Academy of Music. Für seine Arbeit wurde Siegal vielfach ausgezeichnet wie z. B. mit dem New York Dance and Performance Awards, dem französischen SACD-Preis, dem Deutschen Tanzpreis DER FAUST sowie dem Tanzpreis der Landeshauptstadt München. Derzeit arbeitet Siegal an der Gründung der unabhängigen Kompanie Ballet of Difference in München, die den Einfluss der kulturellen Vielfalt auf das klassische Ballett erforschen und die Ergebnisse in Tanzprojekte überführen wird.
Richard Siegal über ein Ballet of Difference
Globalisierung, kulturelle Vielfalt und tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen durch Migration stellen zentrale Themen für meine Arbeit dar. In dem Maße, wie diese sozialen Kräfte kulturell neue Klingen schmieden, versuche ich, mögliche Formen der wandelnden Identitäten in die Sprache des Balletts zu übersetzen. Indem ich die Komplexität des modernen Lebens im Ballett gewärtig mache, frage ich stets auch danach, was Ballett in Zukunft sein wird. Mein künstlerisches Interesse gilt der Zusammenarbeit mit Tänzern aus Kulturkreisen, in denen eine Kreolisierung des Balletts weit fortgeschritten ist. Mich faszinieren insbesondere afro-karibische Gesellschaften, die von den folgenreichen Gastspielen der Ballets Russes de Monte Carlo beeinflusst sind.
Das Ballet of Difference wird durch ein mehrjähriges Forschungsprojekt zum sogenannten Ballet Creole begleitet. Einer Vergleichsstrategie folgend, werden dabei bestimmte Fragen untersucht wie z. B.: Welche Beziehung besteht zwischen dominanten Kulturen und Subkulturen? Wie wird ein fremdes kulturelles Erbe bewahrt? Wie verändert sich die Identität durch das Zusammenspiel verschiedener Kulturen? Ab wann muss eine Tradition neu definiert werden? Inwiefern können neue Ansätze die Bewahrer von Tradition beeinflussen? Tragen die Social Media zur Veränderung oder zur Stabilisierung bei? Und welche Rolle spielt der Körper bei der Vermittlung von Ideen? Um diesen Fragen nachzugehen, werden Gespräche mit Tänzern, Choreographen, Theoretikern und Pädagogen aus Kuba und Brasilien sowie Nordamerika geführt und dokumentiert werden. Eine Publikation zu den Forschungsergebnissen ist für 2018 geplant.
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